Pflege den Geist der ständigen Bemühung

Kurt Wyler • 26. Dezember 2024

Eine goldene Regel für die Karate-Praxis

Karate-ka sitzen in Meditationshaltung.

Dōjōkun Nummer drei lautet: Hitotsu, Doryoku no Seishin o Yashinau Koto - Kultiviere den Geist des ständigen Bemühens oder Strebens.


Die fünf Dōjōkun oder Regeln des Dōjō (japanisch "Ort des Weges") sollen den Trainierenden als Richtlinie für die Praxis dienen. Gemäss den gängigen Quellen wurden sie um 1750 von Meister Sakugawa aufgestellt. Sie stehen dabei nicht in einer Hierarchie oder Reihenfolge zueinander und ihre Bedeutung fürs Karate entspricht der Wichtigkeit, welche ihnen durch die:den Praktizierende:n beigemessen wird.


Sinngemäss zur dritten Regel des Dōjōkun hielt Meister Gichin Funakoshi fest: "Karate ist wie heisses Wasser, das abkühlt, wenn man es nicht ständig erhitzt." Und sogar Roger Federer sagte "Du bist immer nur so gut wie dein letztes Spiel".

In der Karatepraxis ist kein Innehalten und kein Ausruhen vorgesehen. Karate bedeutet immerwährende Anstrengung und ständiges Streben nach Verbesserung und Perfektion - Perfektion, die notabene nie erreicht werden kann. Das Streben im Karate geht dabei weit über sportlichen Erfolg hinaus.


Es scheint, dass gerade eine regelmässige Praxis für viele Trainierende eine der grössten Herausforderungen überhaupt darstellt. Vielen gelingt es vielleicht, während einer gewissen Zeit das Training regelmässig zu besuchen. Nur wenige sind jedoch in der Lage über Jahre hinweg eine Regelmässigkeit beizubehalten. Dies mag viele Gründe haben und für viele Trainierende mag es auch ausreichend sein, Karate für eine gewisse Zeit zu betreiben.

Wenn wir aber danach bestrebt sind, zu den wahren Schätzen dieser Kampfkunst vorzudringen und Karate als Mittel des persönlichen Wachstums zu erfahren, sollten wir auch dann oder insbesondere dann am Training teilnehmen, wenn es uns schwerfällt. An Schwierigkeiten wachsen wir - nicht, indem wir ihnen ausweichen, sondern indem wir sie als Herausforderungen annehmen. Sowohl im Kleinen (indem wir im Training tief stehen, auch wenn es anstrengend ist, oder uns stets bemühen, selbst einfache Techniken korrekt auszuführen) als auch im Grossen (indem wir kein Training auslassen, auch wenn es einfacher oder bequemer wäre, zu Hause zu bleiben).

Gelingt es uns, diesen konstanten Geist zu erlangen, können wir vom Karate für unser Leben profitieren und tatsächlich in die Tiefe dieser Kampfkunst vordringen. Andernfalls kratzen wir stets nur an der Oberfläche.


Ähnlich wie bei einem Loch im Wüstensand müssen wir ständig Sand schaufeln um zur Wasserquelle vorzustossen. Unterbrechen wir unsere Arbeit, verwischt ein Sandsturm unsere Spuren. Neu Erlerntes benötigt Wiederholung, um in unseren Körper und Geist hineinzusickern und abgespeichert zu werden. Diese Wiederholung erreichen wir nur durch regelmässiges Training. Training für Training, Woche für Woche, Jahr für Jahr - ein Leben lang. Nicht morgen, sondern heute.

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