Haben oder Sein: Der Weg zur inneren Zufriedenheit im Karate
Erich Fromm und der Anfängergeist: Glück im Karate jenseits von Anerkennung

Erich Fromm (Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe, 1900–1980) beschreibt in seinem Buch „Haben oder Sein“ zwei grundlegend verschiedene Lebensweisen, in denen wir uns befinden können. Diese zwei Modi beeinflussen, wie wir unser Glück und unseren Selbstwert wahrnehmen – auch in der Welt des Karate.
Im „Haben“-Modus definieren wir uns über materielle Besitztümer wie Geld, Statussymbole oder Anerkennung. Menschen in diesem Modus streben danach, äusseren Wert anzuhäufen, in dem Glauben, dass ihr Selbstwert davon abhängt. In der Welt des Karate und Kampfsports kann sich der „Haben“-Modus durch das Streben nach Medaillen, höheren Gürtelstufen oder äusserer Anerkennung zeigen. Ein Karateka im „Haben“-Modus legt seinen Fokus auf die Erreichung messbarer Ziele, wie das Bestehen von Prüfungen oder den Gewinn von Turnieren.
Im „Sein“-Modus hingegen steht das persönliche Wachstum im Vordergrund. Menschen in diesem Modus streben nach innerer Zufriedenheit, tieferen zwischenmenschlichen Beziehungen und der Entfaltung ihres Potenzials. In Bezug auf Karate bedeutet dies, dass der Karateka den Wert des Trainings nicht an äusseren Erfolgen misst, sondern an der inneren Entwicklung – an der Verbesserung von Selbstdisziplin, Geduld und Achtsamkeit. Ein Schüler, der einen neuen Gürtel erreicht, könnte im „Sein“-Modus tiefe innere Zufriedenheit empfinden, unabhängig von äusserem Lob. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler wird zu einer gegenseitigen Möglichkeit des Wachstums und der Reflexion, anstatt auf Hierarchie oder Kontrolle zu beruhen.
Wenn wir von Karate-Dō (jap. „Weg der leeren Hand“) sprechen, verstehen wir Karate als Kampfkunst. Der Fokus liegt dabei auf dem dem Weg, nicht dem Ziel. Im Kern geht es im Karate-Dō um das eigene Wachstum und die Entwicklung der Persönlichkeit, nicht um den Sieg über einen Gegner oder äussere Anerkennung.
Äusserlich betrachtet mögen der „Haben“- und „Sein“-Modus ähnlich erscheinen – ein Karateka im „Sein“-Modus kann ebenfalls Gürtelprüfungen bestehen oder Medaillen gewinnen und bloss durch den Wegfall solcher Aspekte stellt sich nicht automatisch der „Sein“-Modus ein. Es ist der innere Antrieb und die persönliche Bedeutung, welche den Unterschied machen. Während der „Haben“-Modus auf äussere Bestätigung angewiesen ist, findet der „Sein“-Modus seinen Wert in der inneren Entwicklung und Zufriedenheit
Karate kann vieles sein - Sport, Wettkampf, ein Mittel zur äusseren Anerkennung oder ein Weg zur Selbstentwicklung und zur inneren Zufriedenheit. Welche Bedeutung und Rolle der Kampfsports im Leben hat, entscheidet jede:r Karateka für sich selbst.
Bild erstellt mit Copilot (Microsoft).